Exodus 14 als Schlüsseltext: Gott steht für Leben

Der Höhepunkt der Erzählung vom Auszug aus Ägypten liegt in Exodus 14. In einer dramatischen Flucht löst sich das Volk Israel vom Machtanspruch des Pharao. Die Szene erinnert mit ihren Motiven an eine Geburt. Doch dies sind nicht die einzigen überraschenden Details des Textes.

Unterdrückung und Verfolgung bestimmen das Leben vieler Völker und Minderheiten. Durch die Flüchtlingsbewegungen ist dies selbst in Europa wieder konkret spürbar geworden. Aber auch in Gesellschaften, wo die Rechte der Person und der Minderheiten geachtet werden, ist der Mensch inneren und äußeren Zwängen, lebensfeindlichen Bindungen und Abhängigkei- ten ausgesetzt. Die Bibel weiß darum. So beginnt das Buch Exodus mit der Schilderung einer eben- solchen Situation der Knechtschaft in Ägypten. Die Bibel begnügt sich nicht mit einer Anklage ungerechter Verhältnisse, sondern erzählt von ei- nem Gott, der das Volk schrittweise aus dieser Knechtschaft befreit. Sie verkündet damit eine frohe Botschaft, die inspiriert, mit Hoffnung auf Befreiung erfüllt und den befreienden Gott su- chen lässt.

1. Der Kampf zwischen Pharao und Gott

Die Erzählung über den Auszug Israels aus Ägyp- ten entfaltet sich in Ex 1–14 als Ringen zwischen Gott und Pharao. Beide erheben Anspruch auf das Volk. Doch sind ihre Absichten und ihre Hal- tung gegenüber Israel völlig gegensätzlich. Dies wird durch mehrere Kontraste deutlich. Während der Pharao Angst vor dem Volk hat, weil es „zahl- reich und stark“ geworden ist (Ex 1,9), hatte Gott Abraham verheißen, aus ihm ein „großes und starkes Volk“ zu machen (z. B. Gen 18,18). Ver- heißt Gott Israel Leben, so versucht der Pharao, die Lebenskraft der Israeliten einzudämmen. Er beschwert sie zunächst durch harten Frondienst, bis er die männlichen Neugeborenen im Nil töten lässt. Doch da ereignet sich eine erste Rettung, als ausgerechnet die Tochter des Pharao den kleinen Mose aus dem Nil heraus scht. Wie Mose aus dem todbringenden Wasser gerettet wird (Ex 2,5- 6), so wird Israel durch die todbringenden Was- ser des Schilfmeeres hindurchschreiten (Ex 14,22). 

2. Kennen und erkannt werden

Ein weiterer Kontrast entwickelt sich über das Motiv des „Erkennens“, das uns Einblick sowohl in die Beweggründe Gottes als auch Pharaos bie- tet. Gott hat die Schmerzen seines Volkes gesehen und „erkannt“ (Ex 2,25; 3,7). Er nimmt sich das Leid der Unterdrückten zu Herzen. Er wünscht sich, dass auch Israel ihn kennenlernt und er- kennt (z. B. Ex 6,7; 16,6), wie er es erkannt hat. Im Gegensatz dazu kennt Pharao weder Gottes Macht noch Israel (vgl. Ex 1,8) und lässt sich trotz vieler Zeichen und Wunder nicht zu einer tiefe- ren Kenntnis führen. So gelangt Ägypten erst am Schilfmeer zur Gotteserkenntnis, als Gott seine Macht und Herrlichkeit im Einsatz für die Schwa- chen und im Sieg über diejenigen, die auf ihre Waffen vertrauten, zu erkennen gibt (Ex 14,4.18).

3. Der Weg durch das Schilfmeer

Frage von Gottes Gewalt zu lösen, ist zu betonen, dass hier keine Lust am Tod der Ägypter zum Ausdruck gebracht wird. Vielmehr wird die end- gültige Befreiung von jenen Verfolgern geschil- dert, die trotz aller warnenden Zeichen auf Israels Untergang drängten. Über sie kommt schließlich jenes Übel, das sie Israel zugedacht hatten.

In Ex 14 kommt es zu einem letzten Zusammen- prall zwischen Pharao und Gott. Die Szene enthält viele Motive, die an eine Geburt erinnern. Der Pha- rao möchte Israel nicht loslassen und setzt zur Ver- folgung an. Das ägyptische Heer ist wie die Nabel- schnur, die das Kind an die Mutter bindet. Auch Israel hat sich nicht vollkommen von Ägypten gelöst. Als es das ägyptische Heer herannahen sieht, will es lieber Ägypten dienen als in der Wüste sterben (Ex 14,12). Doch dann geschieht das Wunder. Das Meer öffnet sich, wie sich bei einer Geburt der Mutterleib öffnet, um dem Kind den Weg in das neue Leben frei zu machen. Es ist die Erfahrung der unerwarteten Hilfe Gottes, der un- serem Leben eine unverhoffte Wende gibt.

4. Der Untergang des ägyptischen Heeres

Während Israel trockenen Fußes durch das Meer schreitet, lässt Gott die Fluten über die Ägypter und ihre Streitwagen niederstürzen. Diese Szene, die auch in der Osternacht gelesen wird, ndet häu g Anstoß und wird als Ausdruck eines ge- waltvollen Gottesbildes empfunden. 

 

„Bleibt stehen und schaut zu, wie der Herr euch heute rettet!“
EXODUS 14,1

 

War Israel in Ägypten Sklave, so wird es am Sinai zum besonderen Eigentum Gottes, zu einem Volk von Priestern und zu einem heiligen Volk (Ex 19,5- 6), in dessen Mitte Gott wohnen möchte (Ex 29,46).

Ex 14 ist als abschließender Höhepunkt der Exoduserzählung ein zentraler Text der bibli- schen Offenbarung. In ihm wird offenbar, wer Gott eigentlich ist. Er ist ein Gott, der das Leid der Unterdrückten sieht, der beruft und zur Rettung eilt. Hier ist in der Hebräischen Bibel so deutlich wie nie zuvor und kaum danach von Gott als Er- löser die Rede. Ziel und Vollendung der Erlösung aber ist die im Bund gestiftete bleibende Gemein- schaft mit ihm. Nicht Freiheit an sich ist Erlösung, sondern die Gemeinschaft mit dem Gott, der diese Freiheit garantiert. Diese Gemeinschaft wiederum ruft uns dazu, selbst an der Befreiung und Erlösung mitzuwirken und den Gott des Ex- odus inmitten der Unterdrückten und Verfolgten zu erkennen.

5. Vom befreiten Volk zum Volk Gottes

Mit der endgültigen Trennung von Ägypten ist die Erzählung allerdings noch nicht zu Ende. Sie be- richtet nicht nur von der Befreiung aus der Knecht- schaft, sondern auch von der Befreiung zu etwas Neuem. Dieses Neue besteht im Bund, den Gott mit Israel am Sinai schließen wird. Israel ist aus dem Herrschaftsbereich Pharaos befreit worden, um in den Herrschaftsbereich Gottes einzutreten. Musste Israel in Ägypten dem Pharao „dienen“ (Ex 1,13), wird es nun zum „Dienst“ an Gott gerufen (Ex 23,25). Damit geht ein tiefer Wandel einher.

 

 

 

CLEMENS LEONHARD normal

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Zum Weiterlesen

Zur Gewalt Gottes in Ex 14: Egbert Ballhorn, Warum der Tod der Ägypter in die Osternacht ge- hört, in: Bibel heute 209 (1/2017) S. 20–21. (Download unter: www.bibelwerk/ public/Exodus_14. pdf)

Simon Weyringer

... ist priesterlicher Mitarbeiter in Salzburg und Doktorand am päpstlichen Bibelinstitut in Rom.

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